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4.2. Die Gemeinwohl Ökonomie

Ein Beitrag von Tara Müller.
 
Die Gemeinwohl-Ökonomie
 
Als Grundproblem des heutigen Kapitalismus gelten die Banken und Unternehmen, die mit dem Ziel wirtschaften einen größtmöglichen Gewinn aus allem heraus zu schlagen. Ihr Erfolg wird anhand der Finanzbilanz gemessen, anstatt auf jene Werte einzugehen, die das Gemeinwohl fördern. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine komplexe Antwort auf die gegenwärtigen Krisen, wie Armut, Klimawandel, Arbeitslosigkeit, Finanzblasen, Globalisierung, Migration, Werte- und Sinnverlust (Burkhardt 2015).
 
Die Gemeinwohl-Ökonomie und ihre Merkmale
 
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist der Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle. Sie setzt die Menschenwürde, die Menschenrechte und die ökologische Verantwortung als Gemeinwohlwerte auch in der Wirtschaft um. Vereinfacht gesagt, hat die Gemeinwohl-Ökonomie denselben Ursprung in Vertrauen, Loyalität, Kooperation, Wertschätzung und Teilen, also solche Grundwerte, die dafür verantwortlich sind, ob unsere Beziehungen gelingen oder nicht.
 
Laut dem aktuellen Stand der Wissenschaft sind funktionierende zwischenmenschliche Beziehungen jeglicher Art das, was uns Menschen am glücklichsten macht und am meisten motiviert. In der Wirtschaft steht nicht mehr das Gewinnmaximum und Konkurrenzdenken im Vordergrund, sondern das Streben nach Gemeinwohl und einem guten Miteinander (Kooperation).
 
Jegliche Form von kontraproduktivem Verhalten bringt Nachteile mit sich, wohingegen Zusammenarbeit und gegenseitiges unter die Arme greifen belohnt wird. Die ursprünglichen Wirtschaftsmittel Geld, Kapital und Finanzgewinn dienen nicht länger dem Maß um wirtschaftlichen Erfolg zu messen, sondern vielmehr die neuen Ziele der Lebensqualität, Gemeinwohl und Befriedigung der Bedürfnisse. Das Bruttoinlandsprodukt als bisheriger Indikator für Erfolg wird vom Gemeinwohl-Produkt abgelöst. In der Unternehmerwelt kommt statt der Finanzbilanz die Gemeinwohl-Bilanz. Um bessere Bilanzergebnisse zu erzielen, müssen die Unternehmen so solidarisch, sozial, demokratisch und ökologisch handeln wie möglich. Nur mit guten Bilanzergebnissen bekommen die Unternehmen ein großes Gemeinwohl-Produkt.
 
Durch rechtliche Vorteile, wie zum Beispiel niedrigere Steuern, günstigere Kredite, Vorrang bei öffentlichen Aufträgen, geringere Zölle und Unterstützung bei Forschungsprogrammen, sollen Unternehmen einen Ausgleich für ihren überdurchschnittlichen Beitrag zum Gemeinwohl erhalten. Ziel ist es, dass ökologische, ethische und regionale Produkte günstiger werden als vergleichbar unökologische, unethische und globale. Somit soll für umweltbewusste Unternehmer der Markteintritt erleichtert werden.
 
Geldüberschüsse dürfen nur für sozial und ökologisch sinnvolle Investitionen, Kreditrückzahlungen, begrenzte Ausschüttung an die Mitarbeiter und zinsfreie Kredite an beteiligte Unternehmen ausgezahlt werden. Verboten ist es, Überschüsse für Investitionen auf Finanzmärkten, Firmenaufkäufe, Ausschüttungen an nicht unternehmensinterne Personen und Parteispenden zu verwenden. Als Bonus wird den Unternehmen dafür die Steuer auf ihre Gewinne erlassen. Alle Unternehmen können nach der für sie individuell optimalen Größe streben ohne Angst haben zu müssen gefressen zu werden und nicht mehr wachsen zu können. Dies alles ist nur möglich, da der Gewinn nicht mehr länger das Nonplusultra für eine Firma ist, sondern nur noch ein Mittel.
 
Durch die Möglichkeit, entspannt und angstfrei die optimale Größe einzunehmen, wird es viele kleine Unternehmen in allen Branchen geben. Da sie nicht mehr wachsen wollen, fällt ihnen die Kooperation und Solidarität mit anderen Unternehmen leichter. Sie können ihnen mit Wissen, Know-how, Aufträgen, Arbeitskräften oder zinsfreien Krediten helfen. Dafür werden sie mit einem guten Gemeinwohl-Bilanz Ergebnis belohnt – nicht auf Kosten anderer Unternehmen, sondern zu deren Nutzen.
 
Die Unternehmen bilden zunehmend eine solidarische Lerngemeinschaft, die Wirtschaft wird zu einer win-win-Anordnung. Wirtschaftswachstum ist kein Ziel mehr, wohingegen es wichtig ist den ökologischen Fußabdruck von allen Menschen zu reduzieren, Unternehmen und Staaten auf ein global nachhaltiges Niveau zu bringen (Felber 2013).
 
Die Gemeinwohlbilanz
 
Die Gemeinwohlbilanz bildet das Herzstück der Gemeinwohl-Ökonomie. Hier stehen der Mensch, alle Lebewesen und das Funktionieren ihrer Beziehungen untereinander im Mittelpunkt des Wirtschaftens. Sie belohnt die Wirtschaftsakteure dafür, dass sie sich human, wertschätzend, kooperativ, solidarisch, ökologisch und demokratisch verhalten und organisieren. Sie macht die Werte der Gesellschaft zu den Werten der Wirtschaft. Die Wirtschaft soll nicht länger gewinnoptimiert arbeiten, sondern dem Gemeinwohl aller Menschen dienen. Dies kann mittels der Gemeinwohl-Bilanz und dem Gemeinwohl-Bericht offiziell belegt werden.
 
Der Finanzgewinn sagt nichts über die ursprünglichen Ziele, wie zum Beispiel Lebensqualität, ökologische Nachhaltigkeit, Mitbestimmung, kurzum über das Gemeinwohl, des Wirtschaftens aus. Er wird lediglich in Geld gemessen, doch der eigentliche Zweck des Wirtschaften, die Verteilung der Nutzwerte, kann nicht gemessen werden. In der Gemeinwohl-Ökonomie ist der Finanzgewinn nur noch ein Mittel um an die Ziele zu gelangen. Er darf nicht um jeden Preis maximiert werden.
 
Mit der Gemeinwohl-Bilanz wird nun das essentiell wichtige gemessen. Die Gemeinwohlmatrix bildet eine Schnittmenge aus den Grundwerten Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie mit den Interessen der Stakeholder in den Unternehmen: Kunden, Angestellte, Lieferanten, Geldgeber, nachfolgende Generationen, Inhaber und Natur. Um eine Beurteilung zum Beitrag der Unternehmen für das Gemeinwohl zu ermöglichen, wurden an den Schnittstellen 17 Gemeinwohlindikatoren ausgearbeitet
 
Abbildung 1: Gemeinwohl-Matrix
Quelle: Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie 2015
 
Die in Abbildung 1 dargestellte Gemeinwohl-Matrix soll aufzeigen wie die Werte der Menschenwürde, die Menschenrechte und die ökologische Verantwortung im Praxisalltag der Unternehmer gelebt werden können, wobei sie demokratisch entschieden werden soll und stets weiterentwickelt wird. Mittels dieser Matrix wird in den Unternehmen dann die Gemeinwohl-Bilanz ausgearbeitet. Die tatsächliche Umsetzung der Werte und ihre mögliche Leistungsfähigkeit in der Zukunft samt Bewertung erscheinen im Gemeinwohl-Bericht. Externe Prüfer untersuchen den Gemeinwohl-Bericht und die Gemeinwohl-Bilanz. Durch deren Veröffentlichung der Ergebnisse kann jeder Interessierte den Einsatz des jeweiligen Unternehmens in die Gemeinwohl-Ökonomie mitverfolgen.
 
In Zukunft soll die Gemeinwohlbilanz auf allen Produkten und Dienstleistungen deutlich gekennzeichnet werden, ähnlich wie bei den verschieden Energieklassen der Elektrogeräte. An der Farbe erkennt der Konsument auf Anhieb wie nachhaltig ein Unternehmen seine Produkte erzeugt. Möglich ist auch in der jeweiligen Farbe die Gemeinwohlzahl abzubilden, wer darüber mehr erfahren möchte, muss mit dem Handy über den Strichcode fahren und erhält die komplette Gemeinwohlbilanz zu dem Produkt (Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie 2015).
 
 
Beispiel für die Anwendung der Gemeinwohl-Ökonomie/ Bilanz
 
Fast 1.800 Unternehmen und rund 200 Organisationen, Universitäten und Gemeinden arbeiten mit Christian Felber, dem Begründer der Gemeinwohl-Ökonomie, zusammen. Sein Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“  ist in acht Sprachen erschienen, das Vorwort der englischen Ausgabe stammt von Wirtschaftsnobelpreisträger Eric Maskin.
Felber hat nach seiner Aufforderung an die Banken alle Kredite in Zukunft nicht nur aus finanzieller Sicht sondern auch aus ethischer auf Bonität hin zu überprüfen, nicht lange mit einer Umsetzung in die Praxis auf sich warten lassen. Die „Bank für Gemeinwohl“ soll im Jahre 2016 ihren Betrieb aufnehmen.
 
Diese „demokratische Bank“ soll mit einem eingesammelten Startkapital von 15 Millionen Euro und 40.000 Genossenschaftlern starten. Ihre Kreditnehmer müssen sich der Gemeinwohlprüfung unterziehen und beweisen, dass sie die Umwelt nicht zerstören, die Demokratie nicht anfechten, die Ungleichheit nicht billigen und niemals die Menschenwürde verletzen. Mit dieser Idee der „Gut-Bank“ will Felber den Menschen eine Alternative zu unseren jetzigen bieten. Primär soll das Geld der Investoren in Umwelt-, Bildungs- und Sozialprojekte fließen. Abhängig vom Investitionsziel, ist der Kreditzinssatz  dementsprechend hoch oder niedriger.
 
Das Investitionsmotiv soll nicht wie bisher bei Banken sein, mehr Geld zurückzubekommen als investiert wurde. Felber räumt ein, dass nicht alle von Anfang an begeistert sein werden, aber die Menschheit muss wegkommen von Gier und Konkurrenz, hin zur Erfüllung der Menschenwürde und Nachhaltigkeit (Burkhardt 2015).

 

Ein aktuelles Beispiel aus dem Jahr 2015 ist die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz des Bergsportausrüster VAUDE. Seit Jahren verfolgt das Unternehmen eine konsequente und wirtschaftlich erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie. Als erstes Unternehmen der Outdoor-Branche hat VAUDE dieses Jahr eine auditierte Gemeinwohl-Bilanz veröffentlicht. Das Unternehmen setzt seit Jahren weltweit soziale und ökologische Standards und hat sich durch seinen überdurchschnittlichen Einsatz nun als nachhaltigster Outdoor-Ausrüster Europas hervorgetan.
 
VAUDE nutzt die Gemeinwohl-Ökonomie um mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit zu schaffen. Die Gemeinwohl-Bilanz vergibt Punkte auf einer Skala von -2.850 bis +1.000, wobei VAUDE mit 502 Punkten für ein Wirtschaftsunternehmen eine hohe Wertung erreicht hat. Besonders vorbildlich gilt VAUDE in den Bereichen „Reduktion ökologischer Auswirkungen“ und „Ökologische Gestaltung von Produkten“. Das Unternehmen hält sich freiwillig an sein eigens entworfenes Bewertungssystem „Green Shape“ mit strengen Vorgaben für ressourcenschonende und umweltfreundliche Produkte.
 
Darüber hinaus ist am Standort Tettnang VAUDE klimaneutral und wurde nach dem europäischen Umweltmanagementsystem EMAS zertifiziert. Ebenso beim „Ethnischen Beschaffungswesen“ schneidet das Unternehmen sehr gut ab. Es wird stets auf faire Produktionsbedingungen geprüft. Gründer der Gemeinwohl-Ökonomie, Christian Felber, ist erfreut über den Erfolg des Pionier-Unternehmen VAUDE, das in einigen Bereichen vorbildlich für alle anderen ist (Weber 2015).