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1.3. Bildverstehen im Kontext von Kunstpädagogik und Bildtheorie

Folgend möchte ich Ihnen noch einmal grundsätzliche Überlegungen zum Thema Bildvermittlung im schulischen oder außerschulischen Kontext an die Hand geben. Das Betrachten von, das Staunen über Bilder, das Neugierig-machen, tiefer in den Bildzusammenhang einzusteigen sind wesentliche Aufgaben des Kunstunterrichts und der Bildvermittlung im außerschulischen Bereich. Als Vermittler*innen brauchen Sie ein solides Überblickswissen zu historischer, aber auch moderner und zeitgenössischer Kunst, um Ihrer Zielgruppe Anschauungsmaterial, Inspirationen, Vorbilder an die Hand zu geben. Es geht aber auch im Rezeptionsbereich darum, ein kulturelles Bildgedächtnis aufzubauen und über Bilder gesellschaftlich relevante Themen oder Rollenmuster zur Disposition und zur Diskussion zu stellen. Auch ist wichtig, für nicht so gefällige und leicht zugängliche Kunstformen zu sensibilisieren und diese verständlich zu machen.

 

 

BILDVERSTEHEN im Kontext von Kunstpädagogik und Bildtheorie

Der folgende Text ist sehr kompakt und kann nicht einfach nebenher gelesen werden. Sie müssten sich für jeden Abschnitt vielleicht ein kleines Resümee schreiben bzw. Fremdwörter und Fachbegriffe nachschlagen. Effektiv wäre, sich ein kleines Info- oder Lernplakat mit Schlüsselbegriffen zu erstellen.

Aufgabe 1 d: Arbeiten Sie aus folgendem Text heraus, was genau den speziell kunstpädagogischen Zugang bei der Bildvermittlung ausmacht!

Aufgabe 1 e: Schreiben Sie eine Aussage aus dem Text heraus, die Sie für sich am wichtigsten halten!

Was ist ein Bild? Bilder sind als konstituierender und integrativer Bestandteil des Kunstunterrichts – da es um bildproduktive als auch um bildrezeptive Unterrichtsformen geht –  in ihrer Wesensbestimmung nicht leicht zu fassen: Sie können immaterieller Natur sein, wenn sie der menschlichen Imagination oder Einbildung entspringen, ebenso wenn sie als Sprachbilder im Einsatz sind; sie können materieller Natur sein und Dingcharakter haben, wenn sie sich auf einem Papier, einer Leinwand, einer Holztafel oder jedwedem anderen Material manifestieren, sie können als gemaltes Bild etwas Konkretes abbilden oder sich nur selbstreferentiell auf ihre Gemachtheit aus Farbe und Form beziehen – also gegenständlich oder abstrakt sein; sie können von ausschließlich individueller Bedeutung sein oder symbolischen Charakter haben und sich auf ein gemeinschaftliches Wertesystem beziehen. (Vgl. Mitchell, 2005, S. xvii) „Bald nachdem wir sehen können“, schreibt John Berger, wird uns bewußt [sic], daß [sic] man auch uns sehen kann. Der Blick des anderen verbindet sich mit dem unsrigen und macht es erst so ganz glaubwürdig, daß [sic] wir Teil der sichtbaren Welt sind.“ (Berger, 1974, S. 9; siehe auch Krämer, 2011, S. 69) Relational geht es bei Bildbetrachtung immer auch um diesen von Berger angezeigten Weltbezug, d.h. um die im Jetzt entstehenden Bildwelten des Alltags bis hin zu den der Historie verhafteten Bildzeugnissen, die der Bildbegriff umfängt und an deren Produktion und Selektion wir in unserem Menschsein aktiv beteiligt sind.

Über Kunstbetrachtung | Begleitend richtet sich folgend der Blick auf Definition und Stellung von „Kunstbetrachtung“ im historischen kunstpädagogischen Diskurs, wobei der Begriff der „Kunst- oder „Werkbetrachtung“, der sich gerade im schulischen Kontext etabliert hat, auf einen Museumspädagogen, nämlich den Museumsdirektor der Hamburger Kunsthalle und maßgeblichen mitbestimmenden Vertreter der Kunsterzieherbewegung, Alfred Lichtwark (1852-1914), und seine Schrift Übungen im Betrachten von Kunstwerken von 1897 zurückgeht (vgl. vgl. Präffke, 1986, S. 29; hier zit. nach Engels, 2015, S. 26). Schon Lichtwarks Kunstbetrachtungen beruhen auf diesem Verständnis von Weltbezug, wenn er mit den Schülerinnen der Oberklasse einer höheren Töchterschule in einer Pendelbewegung vor den Originalen einen Bezug zu ihren Alltagsbeobachtungen und -wissen herstellt. Aus dieser Einstellung heraus empfiehlt Lichtwark in dem Einleitungskapitel mit „erzählenden Bildern“ (Lichtwark, 191218, S. 31) zu beginnen (aktuell verlassen Kunstmuseen zunehmend die chronologische Ordnung bei ihren ständigen Sammlungen zugunsten von Narrativen Ordnungen). Zudem sollten „Werke der lokalen Kunst“ (ebd., S. 32), also auf denen man erkennbar die eigene Region abgebildet sieht, berücksichtigt werden. Dieses Wechselverhältnis zwischen Bild und Betrachter begleitet von Beginn an den kunstpädagogischen Diskurs und findet sich nach 1945 etwa in dem Beitrag „Kunst- und Werkbetrachtung“ im ersten Handbuch der Kunst- und Werkerziehung in einer Reihe solcher Bücher zur Bestimmung von Grundlagen der Kunstpädagogik für den Kunstunterricht des Herausgebers Herbert Trümper (und ab 1970 Gunter Otto, vgl. Engels, 2015). Der Kunstpädagoge Friedrich Schrötker formulierte dort 1953, dass jede Kunstbetrachtung auf einem „Wechselverhältnis zweier Wesenheiten, auf der Beziehung zwischen Kunstwerk und Aufnehmenden“ beruhe, sodass „der zum Verständnis und Erleben führende geistige Akt, der sich zwischen Kunstwerk und Betrachter vollzieht, seiner ‚Natur’ nach objekt- und subjektbezogen zugleich“ (Schötker in Trümper, 1953, S. 393; hier zit. nach Engels, 2015, S. 99) sein müsse. Die Kunstpädagogik hat also immer ihre Zielgruppe neben dem Vermittlungsgegenstand fest im Blick!

Im Folgenden wird zunächst der Bildbegriff aus den unterschiedlichen Fachperspektiven der Kunst- und Bildwissenschaft, der kunstphilosophischen Ansätze sowie im Besonderen der Kunstpädagogik zu klären sein, um der Sache gerecht zu werden. Klärungsbedarf besteht aber gleichzeitig bezogen auf die Sache Bild auch für den Wahrnehmungsprozess und die Anschlussfähigkeit dieser Wahrnehmung an den Bezugsrahmen der sinnlich erfahr- und symbolisch deutbaren sowie kulturell kodierten Welt. Ein Bild will gesehen werden – und zwar ganz grundsätzlich erst einmal aus der Fülle der uns umgebenden Bilder entdeckt werden (angemerkt sei, dass der aktuell in Anschlag für unser digitales Zeitalter gebrachte Begriff der Bilderflut, schon 1954 ein Thema war, wenn etwa der Kunstpädagoge Franz Winzinger ein ordnendes Sehen in Zeiten „einer beängstigenden Verflachung des Sehens“ anmahnt mit Bezug auf „die maßlose Überschwemmung mit Bildvorstellungen“ [Winziger in Trümper, Teilband V.2, 1954, S. 5; hier zit. nach Engels, 2015, S. 123]). Schon bei dem vermeintlich einfachen physiologischen Sehvorgang gilt es, eine Schwelle zu überschreiten. Der Begriff der Schwelle findet sich erhellend bei Walter Benjamin in seinem literarischen Werk direkt mit der Kunst verknüpft. So erläutert Sigrid Weigel in ihrer Grammatologie der Bilder: „Weder als Kunstfigur noch als poetisch-sakrale Idee ist die Schwelle hingegen in Walter Benjamins Bilddenken konzipiert, das bei der Malerei und Kunst in die Schule gegangen ist (Kap. 10). In seiner Schwellenkunde hat er die Haltung des ‚Erwachens’ zu einer privilegierten erkenntnistheoretischen Position ausgearbeitet [...].“ (Weigel, 2015, S. 20 nach Walter Benjamin: Das Passagenwerk, 1927-40/1982, S. 59) Dieses ‚Erwachen’ zu ermöglichen, ist eine der Grundvoraussetzungen und ersten Phasen in einem Wahrnehmungsprozess von Bildern, die für Schüler*innen in einen Erkenntnisprozess überführt werden sollen. Deshalb wird dem Akt des Sehens in all seinen Facetten nachzugehen sein.

Der Akt des Sehens | Dieser Akt ist nicht als Einbahnstraße hin zum Bild zu begreifen, sondern ist nach Sybille Krämer als performativ zu betrachten. Sie bezieht sich mit Verweis auf David Freedberg (David Freedberg: The Power of Images, 1991) auf die Wirkmacht der Bilder (vgl. Krämer in Schwarte, 2011, S. 74); also jenes Vermögen der Bilder, uns so zu berühren, dass sie uns zum Schwärmen, zum Weinen oder zum Fürchten, etc. bringen. „Und dies ist nicht nur ein psychologischer, es ist ein anthropologischer Sachverhalt“ (ebd., S. 74), konstatiert Krämer, da sich die benannten emotionalen Reaktionen sowohl in der Realität als auch vor reproduktiven oder künstlerisch konzipierten und gemalten Bildern einstellen. Insofern verwundert nicht, wenn Bilder in kultischen, religiösen oder auch naturwissenschaftlichen Bereichen bewusst in dieser relationalen oder performativen Funktionsweise eingesetzt werden. Unsere Wahrnehmung ist immer schon gelenkt durch unser Vorwissen (vgl. Kinderzeichnung) und unseren Glauben, worüber Berger 1974 folgende Überlegung anstellte: „Im Mittelalter zum Beispiel, als die Menschen an die reale Existenz der Hölle glaubten, muß [sic] der Anblick von Feuer eine andere Bedeutung gehabt haben als heute. Die damalige Vorstellung der Hölle wurde sowohl durch den Anblick des sich bis zur Asche verzehrenden Feuers als auch durch die Erfahrung des Verbrennungsschmerzes geprägt.“ (Berger, 1974, S. 8) Darüber hinaus stellen Bilder in dieser Funktion eine Verbindung zum „genuin Unzulänglichen oder Unsichtbaren“ (Weigel, 2015, S. 14) dar. Aus diesem anthropologischen fundierten Kontext heraus suchen sowohl Religion mit künstlerisch übersetzen Bildern als auch Naturwissenschaft mit technologisch produzierten Bildern und bildgebenden Verfahren „Evidenz und Überzeugungskraft, indem sie Bilder hervorbringen, die Spuren dessen tragen (sollen), von dem sie zeugen und was sie zeigen.“ (Ebd., S. 14)

Über Bilder sprechen | Bilder machen sichtbar und zeigen etwas an bzw. auf oder, noch eine Umdrehung weitergedacht, geben etwas zu verstehen. Damit kommt der Begriff des Verstehens ins Spiel und der Punkt, an dem Bild und Sprache zusammentreffen, wenn es heißt, das Gesehene sowie das Erkannte zu vermitteln. „Bilder und Sprache gelten von alters her als verwandt“ (Boehm/ Pfotenhauer, 1995, S 9) und stehen in ihrer gegenseitigen Bedeutungsgeschichte in einer spannungsreichen Beziehung. Sie begegnen sich in ihrem gemeinsamen „Vermögen der Imagination, der Veranschaulichung, an der Kraft des Zeigens“ (Rebel, 1996, S. 14), erklärt der Kunstpädagoge Ernst Rebel. Dieses zuweilen in starkem Wettbewerb stehende Gespann, wenn es um die eindrücklichere Vor- und Anschauungsleistung geht, wurde in der Antike angelegt. Wolfgang Ullrich weist auf die beiden wegweisenden Belege hin: Einer „fand sich bei Plutarch, der dem griechischen Dichter Simonides mit der Aussage zitierte, Malerei sei stumme Dichtung, Dichtung aber redende Malerei. Den zweiten Hinweis bezog man aus der Ars Poetica des Horaz (65-8 v. Chr.), der dort bemerkt hatte, Dichtung könne manchmal wegen ihrer Details, sozusagen aus der Nahsicht, manchmal wegen eines Gesamteindrucks beeindrucken und sei somit wie die Malerei: ut pictura poesis.“ (Ullrich, 2005, S. 77)

Zum Akt der Bild- und Kunstbetrachtung tritt die Bildbeschreibung: die Ekphrasis, die im Griechischen „Ausformulierung, schildernde Ausschmückung, anschauliche Vergegenwärtigung“ (Rebel, 1996, S. 16) bedeutet. Die Ekphrasis gründet zwar durchaus auf stark narrativen Strukturen (vgl. Boehm/Pfotenhauer, 1995, S. 33), will aber auch zur Anschauung bringen und Teilhabe evozieren, indem die Affekte angesprochen werden, sodass das Leitmotiv ut pictura poesis sich verwirklicht im Sinne einer ausgeglichenen Mischung. Als Teil des Systems der antiken Rhetorik geht es bei der Ekphrasis darum, zunächst eine strukturierte Ordnung im Beschreiben zu etablieren, um dann im Gestus des Aufzeigens überzeugen zu können. Gottfried Boehm verweist auf den Leitbegriff der Rhetorik: Enargeia, der „Klarheit, Deutlichkeit, Anschaulichkeit, auch im Sinne des Durchblicks“ (Boehm in Boehm/Pfotenhauer, 1995, S. 35) meint. Bei den Römern wird der Begriff mit „wahrnehmungs- bzw. bildbezogenen Begriffen: wie inlustratio bzw. illustratio (ins Licht rücken) bzw. evidentia (vor Augen stehen)“ (ebd., S. 35) übersetzt, bei Cicero findet sich perspicuitas. Der Kern ist, dass „Ekphrasen aufzeigen und nicht abschildern wollen“ (ebd., S. 35), betont Boehm. Die Bildbeschreibung mit ihrem inhärenten Zeigegestus ist also intentional vorbereitend auf die begründende Analyse, um von einer Botschaft zu überzeugen. So führt jede formale Beschreibung unweigerlich eine interpretierende Spur mit sich, worauf schon der Kunsthistoriker Erwin Panofsky 1932 in seiner Schrift „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst“ (vgl. Panofsky, 1932 in Kaemmerling, 1987, S. 186) hinwies. Diese subjektiv begründete, selektierende Grundkomponente des Beschreibungsvorgangs verortet der Philosoph Emil Angehrn als „ein konstitutives Moment menschlichen Daseins, [...], das nur im Vollzug, nicht im Erwerb besteht: Beschreibung interessiert als Akt der Aneignung und Gestaltung, nicht als angesammeltes Wissen und Darstellungsbestand.“ (Angehrn in Boehm/ Pfotenhauer, 1995, S. 74) Sinn aber nur macht der auf das Subjekt bezogene Aneignungsvorgang, wenn er im Teilen mit Anderen, also im Mitteilen bestätigt, ergänzt oder in Frage gestellt wird, damit aus der Selbst(be)schreibung eine Welt(be)schreibung werden kann. Das Gesehene, das Erkannte, also das Be- und Gedeutete hat nur Bestand im Moment des Austauschs, des Bildgesprächs. In diesem Gespräch vollzieht sich die Interpretation als deutende „Selbst- und Weltbeschreibung“, die „von jeder Generation, in jeder Kultur und Gesellschaft neu zu vollziehen“ (ebd., S. 74) ist.

Als „geistige Übung“ (Winziger in Trümper, Teilband V.2, 1954, S. 10) bezeichnet der Kunstpädagoge Franz Winzinger die Kunstbetrachtung in der Schule und sieht in der Beschreibung ein wichtiges Hilfsmittel. Dabei geht es ihm um ein genaues Hinsehen, „um restlos alle Teile und Gegenstände eines Bildwerks ins Bewußtsein [sic] aufzunehmen.“ (ebd., S. 10) Exakt soll die Beschreibung sein, weil es nicht darum gehe, „etwa Kunst in Literatur zu verwandeln, sondern dieses Ringen um eine genaue Bezeichnung geht ja auch Hand in Hand mit einer gesteigerten Sehbemühung!“ (ebd., S. 10) Das Durchschreiten der „Zonen des Sichtbaren“ sei die Voraussetzung für das Erschließen der „inneren geistigen Bereiche“ (ebd., S. 10). Bemerkenswert ist, dass Winzinger als Ziel festlegt, dass die Schüler*innen später diesen Weg selbständig gehen können, und dass er die „Ordnung im Bilde [...] unlösbar mit dem Darstellungsinhalt [...] des Bildes verknüpft“ (Winzinger, ebd., S. 11). Es geht dem Kunstpädagogen im Ganzen also offenbar weniger um das wissensgeleitete Belehren, denn darum, den Schüler±innen ein Handwerkszeug an die Hand zu geben, dass sie im eigenständigen Sehen-, Beschreiben- und Deuten-Können emanzipiert! In der zielgerichteten Methodik auf die Verbindung von Form und Inhalt setzt er zudem einen eindeutigen Akzent auf die dem Kunstunterricht eigene Bildpraxis. Auch die gezeichnete Kompositionsskizze, die Winzinger als das Zeichnen der „Hauptlinien des Bildaufbaus“ (ebd., S. 11) einbringt, macht diesen Rückbezug auf die Bildpraxis deutlich. Sidonie Engels hebt in ihrer Studie der Handbücher der Kunst- und Werkerziehung von 1953 bis 1979 den Hinweis Winzingers auf die Sorgfalt berühmter Kunstkenner hervor, ohne an dieser Stelle leider eine genaue Verbindung zur Kunstgeschichte und etwa Giovanni Morellis Kunstkennerschaft herzustellen. Dabei ist es sehr aufschlussreich, im Detail nachzuvollziehen, wo die kunstpädagogische sich auf die kunstwissenschaftliche Methodik bezieht und in welchen Punkten sie durch ihren Produktionsbezug eigene Vermittlungswege entwickelt.

Bildverstehen umfasst also als hermeneutische Setzung die hier skizzierten Teilprozesse des Entdeckens, des Betrachtens, des Beschreibens, des Analysierens, des Deutens. Sowa und Uhlig verknüpfen mit Rückbezug auf Wilhelm Dilthey, Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer, die die Hermeneutik innerhalb eines sozialen Handlungsfelds „als eine universelle Struktur gefasst haben“ (Sowa/Uhlig, 2006, S. 9), das Bildverstehen mit dem Gedanken eines „lebendigen“ (ebd., S. 8) Gebrauchs: „Hermeneutik ist eine geisteswissenschaftliche  Perspektive, die auf die Praxis blickt, um wieder zurück zu führen zu menschlicher Praxis.“ (ebd., S. 9)

Didaktischer Kern ist die anthropologisch fundierte hermeneutische Durchdringung und die Überzeugung, dass Sehen-können zwar physiologisch und anthropologisch im Menschen angelegt ist, aber weiter gebildet werden muss, um visuelle sowie kulturell festgeschriebene Muster mit den Angeboten der Welt der Bilder – im Blick auf sich selbst, die anderen und das Andere – sinnstiftend abgleichen und erschließen zu können, aber auch weiterschreiben bzw. produzieren zu können. Bilder sind also Teil einer stetigen Verhandlungspraxis von Zeichensetzen, -sehen, -lesen sowie -deuten und begründen in ihrer zeitlichen Dimension und Interdependenz ihre Geschichtlichkeit. Daraus ergeben sich soweit für eine kunstpädagogisch orientierte Rezeptionspraxis einmal der stetige Rückbezug auf die Bildpraxis, also die Gemachtheit von Bildern, und zum anderen die Kontextualisierung der Bilder in einen augenblicklich-situativen und einen rückblickend-historischen Zusammenhang. Es gilt durchaus als wesentliche Bedingung, mit Verweis auf die im ganz buchstäblichen Sinn genommene Bild-Auslegungs-Methode des Mnemosyne-Atlas’ des Kunsthistorikers Aby Warburg ein subjektiv und gesellschaftlich ausgerichtetes Bildgedächtnis mit Schüler*innen im Kunstunterricht aufzubauen.

Der folgende Abschnitt ist fakultativ.

Philosophische Vertiefung | Dieses Ziel führt noch einmal direkt zum Ausgangspunkt des Bildes, das bislang als Begriff summarisch verwendet wurde. Was macht ein Bild zu einem solchen und unterscheidet es – trotz der Gemeinsamkeit, auf etwas zu verweisen und in einem gemeinsamen Handlungskontext zu stehen – von der Sprache. Martin Schulz macht in seiner Einführung in die Bildwissenschaft „Die Ordnungen der Bilder“ klar, dass die Vielfalt der Bildphänomene nicht in eine „absolute, zeitlose und metaphysische“ Schulz, 2005, S. 14) Bestimmung „des Bildes“, also in einen Singular münden kann. Trotzdem stellt sich die Frage, auf welchen gemeinsamen Nenner all diese Bilder zurückzuführen sind. Gottfried Boehm stellt eine Prämisse zur Disposition: „Bilder besitzen eine eigene, nur ihnen zugehörige Logik. Unter Logik verstehen wir: die konsistente Erzeugung von Sinn aus genuin bildnerischen Mitteln.“ (Boehm in Maar/Burda 20042, S. 28) Boehm verweist, wie bereits schon eingangs deutlich gemacht, auf die Wirkmacht des Bildes und fragt, wodurch sie zustande kommt (ebd., S. 30) Für Boehm ist das Bild „das Paradox einer realen Irrealität“ (ebd, S. 30), da es eine materielle Seite hat und etwas, das sich materiell nicht greifen lässt; „etwas Anderes: eine Sicht, ein Anblick, ein Sinn – eben ein Bild.“ (Ebd., S. 30) In Analogie zur Sprechakt-Theorie verleiht Boehm dem Sehakt die Kraft eines Bedeutung stiftenden Grundakts (vgl. ebd., S. 32), so dass Sinn gestiftet wird. Das Sehen provoziert insofern eine „Differenz“ – Boehm prägt den Begriff der „ikonischen Differenz“ – als der „Gehalt, den sie hervorruft“ (ebd., S. 32), etwas Abwesendes meint. Ähnlich formulierte es Theodor Adorno, der zwar nicht den weiter gefassten Bildbegriff verwendet, sondern von Kunstwerken spricht: Diese definiert er als Artefakte, die materiell gestaltet und zugleich über ein Kraftfeld verfügen. (Vgl. Adorno, 1970, S. 168; hier zit. nach Bredekamp, S. 324) Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp knüpft mit seiner „Theorie des Bildakts“ an die Vorstellung des Sehakts an und bringt innerhalb der Bildwissenschaften die Ansätze in Anschlag, die zur Erschließung kultureller Codes die sprachanalytischen hinter sich lassen, um die „widerspenstigen Kraftfelder der Körper und Artefakte“ (Bredekamp, 2010, S. 324) neu auszuloten und zu bestimmen (vgl. Gumbrecht, 2004; Krämer 2005). Bredekamp schließt den erkenntnistheoretischen Ansatz des Enaktivismus (vgl. Varela/ Thompson/ Rosch, 1991) mit den Symboltheorien Warburgs und Ernst Cassirers zusammen. Beide stimmten darüber ein, schreibt Bredekamp „daß [sic] der Mensch von seinen ersten körperlichen Ausdrucksformen her als animal symbolicum zu begreifen ist: Außerhalb dieser symbolischen Bezüge ist für ihn keine Welt zu entdecken.“ (Bredekamp, 2010, S. 326).

Ein erstes Schema bietet für Schulz der kulturhistorisch vergleichende, interdisziplinäre Ansatz „der Bildanthropologie“ des Kunsthistorikers Hans Belting, der ein dynamisches „Dreiecksverhältnis von Bild, Medium und Körper“ (ebd. S. 15) definiert. Schulz erläutert: „Kein äußeres Bild kann ohne ein Medium bestehen, von dem es materialisiert, gespeichert, übertragen und sichtbar gemacht wird. Zugleich kann kein Bild bestehen, wenn es nicht von einer Betrachterin oder einem Betrachter wahrgenommen und von einem externen Bild wieder in ein inneres Bild transformiert wird, das im Körper gespeichert, bewertet, kognitiv wie emotional umgesetzt und überhaupt als Bild erkannt wird.“ (ebd., S. 15-16) Dieser Austausch von inneren und äußeren Bildern ist gerade im bildproduktiven Prozess ein ganz zentrales Moment, dem hier besondere Beachtung geschenkt werden soll. Selbst eine Zeichnung, die vor der Natur realisiert wird, entsteht nicht im nur äußeren Abgleich mit dem, was physiologisch in der Natur zu sehen ist. Es existiert bereits eine innere Vorstellung dessen, was zeichnerisch fixiert werden soll. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Nur wer eine Vorstellung von der Linearperspektive als bildnerisches Abbildungssystem ausgebildet und innerlich verankert hat, ist in der Lage, eine architektonische Gegebenheit nach unseren westlichen Vorstellungen von perspektivischer Richtigkeit zu zeichnen. Der praktisch Zeichnende muss also schematische Abbildungen oder Zeichnungen und Gemälde mit angewandter Linearperspektive rezipiert haben, sprich einen inneren Bilder- oder Perzept-Vorrat angelegt haben. Hierin gründet eine der Kunstpädagogik eigene Erfahrungs- und Erkenntnissituation, die speziell den Kunstunterricht auszeichnet. Während Beltings Bildanthropologie sich vornehmlich in seiner Relationalität auf den Wahrnehmungs- und kognitiv-emotionalen Verarbeitungsprozess bezieht, kann in der Bildwissenschaft zudem auf einen Ansatz verwiesen werden, der auch das Handeln mit Bildern, also die performative Verbindung von Bild und Gebrauch miteinschließt. (Vgl. Seja, 2009, S. 10) Silvia Seja weist auf den grundlegenden Unterschied zwischen pragmatischem und pragmatistischem Verständnis innerhalb dieser Bildhandlungstheorien hin: Die pragmatische Konzeption, geht davon aus, „dass die Abbildungsleistung von Bildern auf einem Gebrauch ruht“ und sich auf „Verstehens- und Interpretationsleistungen richtet“ (ebd., S. 11). Diese Ausrichtung entwickelte sich aus der Sprachphilosophie heraus und operiert vor allem im Feld der Sinnzuschreibung: Erst das Bildhandeln macht das Bild zum Bild. Das pragmatistische Verständnis geht dahingegen davon aus, „dass Bilder nur deshalb gebraucht werden können, da sie bereits als Bilder erfasst wurden.“ (Ebd., S. 11) In dieser zweiten Konzeption werden Bildobjekte nicht nur als Zeichen im Sinne der Sprachsemiotik charakterisiert. Arnold Gehlen erfasst in seiner pragmatistisch ausgerichteten Bildtypologie die sichtbaren Eigenschaften als „Bildform“ und bezieht diese auf die Gebrauchsweise. Im Zusammenspiel ergeben sich so bei ihm verschiedene Bildtypen (vgl. ebd., S. 19). Nicht zuletzt sei der Bildbegriff des Kunsthistorikers Ernst H. Gombrich aufgegriffen, der den Weg über den „Bildstil“ geht und postuliert, dass sich dieser im Gebrauch „als immaterielles Werkzeug der Illusionsbildung“ (ebd., S. 20) verstehen lässt. Sowohl Gehlen als auch Gombrich definieren das Bild als immaterielles Werkzeug. Nach Gombrich ist ein Bild nichts anderes als ein „psychologischer Effekt“. Der Nutzwert von Bildern bemesse sich deshalb „nach dem Grad ihrer illusionsbildenden Wirkung“ (Gombrich, 1982, S. 224; hiert zit. nach Seja, S. 140). Sybille Krämer klärt diesen Zusammenhang hier abschließend, wenn sie schreibt: „Wenn Bilder nicht nur durch ihre Schöpfer als ‚Bilddinge’ hervorgebracht werden, sondern im Auge des Betrachters immer wieder entstehen (müssen), dann wird der wahrnehmungstheoretische Diskurs zur entscheidenden, bildgebenden Ressource.“ (Krämer, S. 68) Die hier aufgezeigten anthropologisch-kulturalistischen, die zeichentheoretisch-pragmatischen und die wahrnehmungstheoretisch-pragmatistischen Ansätze bilden nach Krämer die Länge einer „Skala“ ab, auf der die Fülle unserer Bildpraktiken in beliebig komplexen Mischverhältnissen lokalisierbar sind.“ (Krämer in Schwarte, 2011, S. 83) Bilder funktionieren in einer Pendelbewegung als Verbindung, um die Kluft zwischen sinnlicher, haptisch begreifbarer und pathetisch uns ergreifender Welt und dem kognitiv, ordnenden Denken zu überbrücken. „Für sie gilt“, schreibt Sigrid Weigel jenes Zusammenspiel von videre und intellegere, von sehen und einsehen [...]“ wie es Augustinus zur Erläuterung der christlichen Sakramente, der Verwandlung von Brot und Wein, unterschieden hat: „Quod uidetur, speciem habet corporalem, quod intelligitur, fructum habet spiritualem“ (Was gesehen wird, hat eine körperliche Form, was eingesehen wird, hat geistliche Frucht, Augustinus, Sermo 272; hier zitiert nach Weigel, 2015, S. 15.  Insofern ließe sich sagen, dass es eine mittelbare Darstellung durch Worte und eine unmittelbare durch die Hand von plastischen Künstlern gibt, deren „bildgebende“ (vgl. Weigel, 2015, S. 14) Darstellung im Sehen und Vermitteln wieder eine mittelbare wird. Die Lebendigkeit von Menschen gemachter Bilder erklärte schon Leonardo da Vinci mit den Empfindungen des Betrachters gegenüber dem Kunstwerk. Walter Benjamin prägte für das 20. Jahrhundert den Begriff der Aura, die in der „Haltung des Betrachters gegenüber dem Kunstwerk“ (Weigel, 2015, S. 58) gründet. Diese Haltung beim Betrachter steht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Wirkung beim Bild, deren bildtechnischer Gemachtheit nachgegangen werden kann auf dem Weg zu einem anthropologisch begründeten relationalem Bildverstehen.