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2.1.1. Bildbetrachtung von historischer Kunst heute

 

Aufgabe 2 a: Arbeiten Sie in diesem Textabschnitt heraus, welche 2 Aspekte bei der Vermittlung von historischer Kunst besonders aus kunstpädagogischer Sicht von Bedeutung sind!

 

Kontext. Leider werden in Schule und Museum Bildbetrachtungen nach wie vor sehr gleichförmig betrieben; meist stellt man gemeinsam das Motiv fest und erklärt den Stil eines Bildes, manchmal gibt es noch ein wenig Biografie zu den Künstler*innen. Für Kinder oder Jugendliche ist das meist eine Art Alien-Wissen, das schnell wieder vergessen wird, weil sie noch kein Wissensnetzt haben, in das Sie den Befund eines Stiles einordnen können. Deshalb kann es interessanter sein, vergleichend zu schauen, wie der/die Maler*in A etwa einen Hund malte und warum, und wie das der/die Maler*in B machte und warum. Man muss also genau überlegen, wie man vorgeht, welche Analysemethode man für den Vermittlungsprozess wählt und wozu das Wissen gebraucht wird. Auf jeden Fall ist es wichtig, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Art Forschungsfrage zu stellen, damit erst einmal klar ist, warum man sich jetzt ein Kunstwerk genauer anschauen sollte (z.B. um zu lernen, wie man beispielsweise Hunde fotorealistisch malt oder wie man darstellt, was für ein Verhältnis man zu einem Hund hat, oder wie man darstellt, dass der Hund eigentlich für einen abstrakten Begriff wie „Treue“ steht, etc.).

Analysemethoden in der Lehrpraxis. Welche Analysemethoden werden nun üblicherweise zur Untersuchung eines Bildes für das Unterrichtsgespräch im Fach Kunst und in der Museumspädagogik gewählt?  Richtet man den Blick in die Lehrpraxis oder auf die Aufgabenstellungen, die beispielsweise das Bayrische Staatsexamen für die Werkanalyse vorgibt, so erhärtet sich ein Befund, den das Basler Forschungsinstitut Eikones anlässlich der Tagung „Panofsky and beyond. Bildanalyse-Schemata im Fachunterricht“ im Dezember 2016 folgendermaßen formulierte:

 

Bilder spielen in der Gesellschaft und damit auch im Schulunterricht eine bedeutsame Rolle. Dabei unterscheiden sich die Verwendungen der Bilder in den Fächern je nach Fachtradition und entsprechenden Bildungsabsichten. Neuere Erkenntnisse und Theorieansätze aus den Bildwissenschaften sind dabei allerdings oft kaum von Bedeutung. Symptomatisch dafür ist der Befund, dass sich das von Erwin Panofsky in den 1930er-Jahren entwickelte interpretatorische Dreischritt-Schema in zahlreichen Bilddidaktiken nach wie vor einer grossen [sic] Beliebtheit erfreut. Alternative Schematisierungen, wie sie insbesondere seit dem >iconic turn< in den 1990er-Jahren entstanden sind, werden von der fachdidaktischen Literatur noch wenig berücksichtigt. Sie haben sich entsprechend auch im Schulunterricht erst zaghaft durchgesetzt.“ (Hodel 2016)

 

Die ungebrochene Popularität des Panofskyschen Dreischritt-Schemas (vgl. Panofsky 1980, S. 95): Erstens: Was ist dargestellt = vorikonografische Analyse (hier wird aus der vitalen Daseinserfahrung das primäre oder natürliche Sujet beschrieben); zweitens:  Wie ist es dargestellt = ikonografische Analyse (auch sekundäres oder konventionelles Sujet genannt, bei dessen Bedeutungsfindung auf literarisches Wissen zugegriffen wird) und drittens: Was bedeutet es = ikonologische Interpretation mit Bezug auf den Phänomen‑, Bedeutungs‑ und Dokumentsinn (oder Wesenssinn) – mag ganz einfach am sinnfälligen Anleitungscharakter des Dreischritts liegen. Panofskys Ansatz funktioniert wie eine Gebrauchsanweisung, nach der man vorgehen kann, um zu einer klaren Erkenntnis über das Dargestellte zu gelangen.

Auch der Ansatz, den der Kunstpädagoge Gunter Otto 1974 und weiter 1987 zusammen mit Maria Otto in einem lerntheoretischen Konzept der Zusammenführung rezeptionsorientierter Perzeptbildung und praxisorientierter Umgestaltung unter Verwendung  von Aby Warburgs (1866 – 1929) ikonologisch begründeten Auslegeverfahrens des Mnemosyne-Atlas verband (vgl. Busse in Lutz-Sterzenbach u. a., 2014, S. 722), lenkt mit der Frage nach dem „Was-ist-dargestellt“ und „Was-bedeutet-es“ das Interesse stark auf den Inhalt. Dieser Inhaltsbezug kommt der menschlichen Natur erst einmal entgegen. Tatsächlich sucht der Mensch zunächst Vergleiche mit der unmittelbaren Umgebung, um visuelle Phänomene in das bereits vorhandene Bestandswissen einzuordnen. So werden visuelle Zeichen zu Mitteilungen, wie der Kunsthistoriker Rudolf Wittkower es ausdrückt (vgl. Wittkower in Kaemmerling 1994, S. 226).

Diese 1:1-Relation von Bildstoff und Bildinhalt klammert allerdings die Wirkmacht von Bildern aus, etwas in Erscheinung zu bringen und nicht nur Gegenständliches abbildhaft zu repräsentieren; also ein Motiv zu zeigen und zu wissen, was es bedeutet. Sie vernachlässigt auch die Tatsache einer subjektbezogenen und heterogenen Wahrnehmung: „Das Sehen, mit dem wir unsere Umwelt wahrnehmen“, betonen die Kunsthistoriker Frank Büttner und Andrea Gottdang, „ist kein photographischer Vorgang, sondern ein geistiger Akt, der sich erst in der kognitiven Leistung des Erkennens vollendet.“ (Büttner/Gottdang, 2009, S. 11)

Zudem – und dies sollte vor allem aus kunstpädagogischer Perspektive von Belang sein – werden die verschiedensten bildnerischen Möglichkeiten, etwas über das Bild zur Anschauung zu bringen, zweitrangig behandelt. In ihrem Essay Gegen Interpretation opponierte die amerikanische Publizistin Susan Sontag 1964 gegen die Vorstellung, ein Bild sei mit seinem Inhalt identisch und die sich daraus ergebende Problematik, dass „dem Inhalt die wesentliche, der Form hingegen nur beiläufige“ (Sontag 2012, S. 12) Bedeutung zukomme.

Genau an diesem Punkt der Medienabhängigkeit setzt eine aus kunstpädagogischer Sicht begründete Methodik der Kunstbetrachtung an: nämlich an der Gemachtheit von Kunstwerken und ihrem Wirkungspotenzial. Man lernt also an historischen Kunstwerken, wie sie gemacht wurden, um eine bestimmte Wirkung in ihrer Zeit zu erzielen.

Dies sei kurz an drei sakralen Bilddarstellungen aufgezeigt: Es geht in den Gemälden von Andrea Mantegna (Abb. 1), Hans Holbein (Abb. 2) und Wilhelm Trübner (Abb. 3) um den Leichnam Christi.

Abb. 1 Andrea Mantegna, Beweinung Christi, um 1480, 66 x 81,3cm., Pinacoteca di Breda, Mailand

 
Abb. 2 Hans Holbein, Toter Christus, 1874, 95 x 109,5 cm , Kunstmuseum Basel

 
Abb. 3 Wilhelm Trübner, Leichnam Christi im Grabe, 1521-22, 30,5 x 200 cm, Kunsthalle Hamburg

Der unmittelbare Vergleich macht deutlich, dass die Positionierung des toten Körpers zum Betrachter, aber auch der Bildausschnitt die Wirkung der Szene maßgeblich verändert. In allen drei Bildbeispielen wird das Menschsein inszeniert: bei Mantegna und Trübner, indem uns als Betrachter die nackten Füße entgegengestreckt werden, bei Holbein, indem über die Farbgebung – man sieht es an den blau-schwarzen Händen – die Verwesung dargestellt wird. Durch die unterschiedliche Positionierung aber wirkt Mantegnas Christus viel näher und eindrücklicher, zumal wir ganz nah und mit leichter Aufsicht vor der Steinplatte stehen, auf der der Körper liegt. Diese nahe Begegnungssituation stellt sich bei Holbein durch die bildparallele Aufbahrung nicht ein. Wohl überträgt sich aber das Gefühl von Enge und Atemnot angesichts des engen Bildraums, der an eine Grabkammer erinnert. Die schräge Lagerung des Körpers bei Trübner vermittelt über die Diagonale den Eindruck von Dynamik und einer gewissen Zufälligkeit – es ist also keine inszenierte Situation der Aufbahrung zur Anbetung etwa. Gäbe es die Wundmale und die übergroßen Nägel im Vordergrund nicht, würde man nur bedingt Christi Leichnam in dieser Darstellung erkennen.

Der Kunstunterricht und museumspädagogische Workshops sind die Orte, an denen auch praktisch aus dem zugängigen Technikverständnis die materielle Gemachtheit von Bildern und technische Darstellungsvorgaben nachvollzogen werden können. Zur Veranschaulichung kann die Freskotechnik herangezogen werden: Die Betonung der Linie und ein zeichnerischer Stil in der Freskomalerei waren keine eigentliche Stilentscheidung, sondern technisch bedingt; nämlich durch den Karton mit vorgezeichneten Umrandungen als Vorlage, der in den nassen Putz übertragen wurde. Zuerst stand also die Linie; erst dann wurden die Flächen farblich ausgemalt.

Im Kunstunterricht können Bildwirkungen direkt erfahren und auch verändert werden. Gerade im Modus digitaler Bildvermittlung ist das ein interessanter Aspekt, da man Farbe und Technikwirkungen über Filter sehr einfach verändern kann, um die daraus resultierenden Veränderungen in der Wirkung beobachten und benennen zu können. Insofern bildet die kunstpädagogisch begründete Didaktik in diesem praktischen Nachvollzug hier ein Alleinstellungsmerkmal aus.

Wenn sich der Kunstunterricht zum Ziel setzt, mit seinen Schüler*innen ein historisch fundiertes Bildgedächtnis aufzubauen, wie dies die Lehrpläne vorgeben, dann folgert daraus, dass eine mannigfaltige Bilderwelt eines ausdifferenzierten Methodenrepertoires bedarf und zwar über Panofskys ikonografisch-ikonologische Interpretationsmethode hinaus. Diese bezieht sich doch einschränkend auf den vordergründigen Bildstoff und den hintergründigen Bedeutungssinn und lässt sich zudem keinesfalls auf das Dreischrittschema reduzieren. Ein vom Untersuchungsgegenstand geleiteter Vermittlungsansatz, der seine Methoden an der Komplexität des Bildgegenstandes ausrichtet, wird kaum monomethodisch zu einer befriedigenden Erkenntnis kommen. Bilder sind Teil einer stetigen Verhandlungspraxis von Zeichensetzen, Zeichensehen, Zeichenlesen sowie Zeichendeuten und begründen in ihrer zeitlichen Dimension und Interdependenz ihre Geschichtlichkeit. Ernst Rebel verweist darauf, dass wir es als Betrachter seit den Anfängen der Moderne um 1800 gewohnt sind, „disparate Motive und innovative Bildformen als immer auch prekär wahrzunehmen: als herausfordernd, befremdend, rätselhaft.“ (Rebel in Lutz-Sterzenbach u. A. 2014, S. 599) Hier ließe sich exemplarisch auf die Rezeption von Caspar David Friedrichs Gemälde Mönch am Meer (1808‑10) verweisen, vor dem die Malergattin Marie Helene von Kügelgen Unbehagen wegen fehlenden Lebens und Bewegung aussprach oder Johann Wolfgang von Goethe wütend äußerte, man könne Friedrichs Bilder auch gleich kopfüber ansehen, da man nichts erkenne (vgl. Wagner, Monika (1991): Das Problem der Moderne. In: Wagner, S. 21-25).

In der Vermittlung historischer Bilder, so führt Rebel weiter aus, wollen diese Spannungen ausgehalten sein; „denn wir tun es, um Gegenwart, das ist unser eigenes widersprüchliches Selbst, zu verstehen.“ (ebd., S. 599). Der Kunsthistoriker und ‑pädagoge Rebel macht aber darüber hinaus noch einen wesentlichen Punkt klar: „Geschriebene, gesprochene, gemalte Geschichten, damit sie lebendig bleiben, müssen weitererzählt, umerzählt werden.“ (ebd., S. 606); also in unser gegenwärtiges Erleben überführt und sprachliches Ausdrucksvermögen eingepasst werden.

Daraus ergeben sich soweit für eine kunstpädagogisch orientierte Rezeptionspraxis einmal der stetige Rückbezug auf die Bildpraxis, also die Gemachtheit von Bildern; verbunden mit dem Anspruch nach hochwertigen Reproduktionen. Wie der Kunstpädagoge Schütz ausführt, stellte die Frage nach geeigneten Bildmedien ein durchgängiges Hauptproblem bereits im 19. Jahrhundert da. Zunächst setzen Zeichenlehrer auf Stiche, Holzschnitte und Lithografien. Hinzu kamen dann die Fotografie und der Gipsabdruck (vgl. Schütz 2002, S. 11). Prinzipiell sollte Bildbetrachtung auch in Museen und dem öffentlichen Raum (Denkmäler, Kunst am Bau, Kirchen, Rathäuser, Kunstvereine, etc.) stattfinden, um Aspekte der Malweise, Ausmaße oder die Wirkung einer Plastik im Raum adäquat nachvollziehen zu können und nicht nur ausschließlich über digitale Bildvermittlung. Zweitens muss die Kontextualisierung der Bilder in einen augenblicklich-situativen und einen rückblickend-historischen Zusammenhang erfolgen. Für die Bildauswahl bedeutet das, dass es a priori kein Kunstwerk gibt, das man nicht heranziehen kann, solange man sich in der Vorbereitung intensiv selbst und multiperspektivisch damit auseinandersetzt (= Sachanalyse vgl. 6.1). Es gilt vielmehr, mit Verweis auf die im ganz buchstäblichen Sinn genommene Bild-Auslegungs-Methode des Kunsthistorikers Aby Warburg ein subjektiv anschlussfähiges und gesellschaftlich ausgerichtetes Bildgedächtnis mit den Schüler*innen im Kunstunterricht, aber auch unterstützend in der Museumspädagogik aufzubauen. Warburg, der Pendler zwischen den Disziplinen, verfolgte mit seinem Gedächtnisatlas ein Anbinden der Formveränderung an seine Zeit, also die jeweils aktuelle Epoche und ihre unterschiedlichen Repräsentations- bzw. Bildmedien. An aktuelle Bild- und Medienphänomene: wie Foto, Film, Werbung, Internetformate anzuschließen, ist kunstpädagogisch gesehen für eine sinnstiftende Schülerorientierung maßgeblich.

Eine Gegenüberstellung von dem Gemälde Die Arnolfini-Hochzeit, 1434 von Jan van Eyck (Abb. 4) als Auftragsarbeit wahrscheinlich für den italienischen Kaufmann Michele Arnolfini in Brügge gemalt, und einem Pressefoto (Abb. 5) von dem ehemaligen Glamourpärchen Brangelina, das 2008 anlässlich der Filmfestspiele in Cannes entstand, veranschaulicht, wie rhetorische Absicht in gestalterischer Gemachtheit aufgeht und über Jahrhunderte hinweg als Bildwerkzeug der Kommunikation funktioniert. Selbst wenn weder Presse noch das Schauspielerpaar Kenntnis von van Eycks Gemälde hatten, so macht die Gegenüberstellung doch deutlich, dass in der Fotografie vergleichbare bildnerische Komponenten zum Tragen kommen wie in der Malerei, wenn das Foto im Bildgedächtnis einer Gesellschaft überleben will; im Bereich des Porträts sind dies: eine zentrierte Komposition, harmonische Ausleuchtung und markante Farbkontraste – in diesem Fall mit den Farben Rot und Grün ein Komplementärkontrast.

 
Abb. 4 Jan van Eyck, Die Arnolfini-Hochzeit, 1434, 81,8 × 59,7 cm, National Gallery London

 
Abb. 5 Angelina Jolie und Brad Pitt, Pressefoto, Cannes 2008

http://www.harpersbazaar.com.sg/fashion/angelina-jolies-style-evolution/...