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2.1.3.1. Wurzeln qualitativen Denkens

Aristoteles

Während sich die Denktradition nach Galileo Galilei (1564 - 1642) ganz auf die allgemeinen Naturgesetze stützt und sich auch bei Descartes (1596 - 1650) diese Gedanken finden, sucht Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) den Sinn, die innere Bedeutung der Dinge zu erfassen. So lässt sich das Wissenschaftsverhältnis nach Aristoteles durch folgende Sichtweise beschreiben: Alle Forschungsgegenstände sind historischen Gegebenheiten ausgesetzt, unter denen sie Ver­änderungen und Entwicklungen durchlaufen. Aristoteles nennt dies das Werden und Vergehen.

Grundlage für Einzelfallanalysen

Nach Aristoteles sind auch Werturteile in einer wissenschaftlichen Analyse möglich. Sowohl die deduktive Herangehensweise, also die Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen, als auch die In­duktion sind im aristotelischen Wissenschaftsverständnis erlaubt. Nur durch die Akzeptanz des induktiven Vorgehens, also des Schließens vom Besonderen auf das Allgemeine, ist die Grundlage für sinnvolle Einzelfallanalysen gegeben (vgl. Mayring, 2002).1 Mit Aristoteles wird deutlich, dass die Erforschung des Menschen bzw. der menschlichen Seele nur über qualitative Vorgehensweisen möglich ist. Andere Vor­gehensweisen sind dabei weder zielführend noch ausreichend, aber durchaus zur Ergänzung (im Sinne einer Verschränkung oder Misch­form der qualitativen und quantitativen Forschung) einsetzbar.

Vico

Ebenfalls als Vorläufer des qualitativen Denkens ist Gianbattista Vico (1668 - 1744) zu nennen. Vico geht davon aus, dass das Praktisch-Wahre keine allgemeine (universale) Gültigkeit besitzt und sich auch nicht aus „ersten Wahrheiten" deduzieren lässt. Darüber hinaus gelten räumliche und zeitliche Einschränkungen; das Handeln hängt von wechselnden und unbegrenzten Handlungszusammenhängen ab. Vico formuliert 1725 das Programm einer „neuen Wissenschaft", in dem er die Grundlagen für ein geisteswissenschaftliches, verstehendes, histo­risches und auf den Einzelfall orientiertes Denken vorstellt. Dieses Denken zielt nicht auf die Formulierung gültiger Naturgesetze ab, sondern auf die Differenzierung spezifischer praktischer Regeln.

Hermeneutik

Als eine weitere Wurzel für das qualitative Denken und damit auch für die qualitative Sozialforschung ist die Hermeneutik anzuführen. Die „Kunst der Auslegung" findet man beispielsweise in der Theologie (Auslegung der heiligen Schrift) und in der Rechtswissenschaft (Inter­pretation von Gesetzestexten). In der Hermeneutik geht man davon aus, dass alles was von Menschen hervorgebracht wird (Texte, Musik, Kunstgegenstände, Filme etc.) immer mit subjektiven Bedeutungs­mustern und subjektiven Sinnkonstruktionen verbunden ist. Eine reine Betrachtung von außen führt daher nicht zu einem Verstehen des Gegenstandes. Nur über die Interpretation lässt sich der subjektive Sinn Stück für Stück im Forschungsprozess erschließen. „Das Verstehen und Deuten ist die Methode, welche die Geisteswissenschaft erfüllt. Alle Funktionen vereinigen sich in ihm. Es enthält alle geis­teswissenschaftlichen Wahrheiten in sich. An jedem Punkt öffnet das Verstehen eine Welt" (Dilthey, 1985, zit. nach Mayring, 2002, S. 14).2