2.2.1.2. Weitere Dimensionen zur Definition

Schriftlich oder mündlich?

Qualitative Befragungen werden selten schriftlich durchgeführt, da Untersuchungs-teilnehmer eher zu mündlichen Äußerungen bereit sind als zum Anfertigen von schriftlichen Ausarbeitungen. Schriftliche Äuße­rungen sind zwar weniger spontan, dafür aber oft besser durchdacht und erschöpfender. Sie werden aber vom Probanden als anstrengender und schwieriger erlebt. Entscheidend bei dieser Frage ist auch, zu welchem Thema ein Interview durchgeführt wird. So kann es bei einem Thema, welches ein Antwortverhalten im Sinne der „sozialen Er­wünschtheit" erwarten lässt, sinnvoller sein, ein Interview schriftlich durchzuführen (Bortz & Döring, 1995, S. 283).1 Der fehlende direkte Kontakt mit dem Interviewer vermittelt bei der schriftlichen Befragung ein Gefühl der Anonymität, sodass auch „sozial unerwünschte" Aussagen gemacht werden können.

Differenzierung nach Kriterien

Aufgrund der Vielzahl von Varianten qualitativer Interviews ist es wich­tig, je nach Untersuchungsfall eineTechnik auszuwählen. Als erstes ist zu klären, ob der interessierende Sachverhalt überhaupt im subjektiven Erleben repräsentiert ist bzw. mit welchem kognitiven Aufwand für die Befragten ein Interview verbunden ist. Manche Ereignisse und Erfahrungen sind schwer erinnerbar (z.B. Traumata), schwer erklärbar oder unbewusst. Es sollte auch bedacht werden, dass der Zeitaufwand, die Rollenverteilung und die Rahmenbedingungen des Interviews für den Befragten akzeptabel sind. Folgende sechs Punkte sind für die Auswahl der Interviewform von Bedeutung:

  • Realitätsbezug (Phantasien vs. Beschreibungen)
  • Zeitdimension (Erinnerung vs. Zukunftspläne)
  • Reichweite (Tagesablauf vs. Lebensgeschichte)
  • Komplexität (einfache Beschreibung vs. Charakterisierung)
  • Gewissheit (Vermutungen vs. Erfahrungswissen)
  • Strukturierungsgrad (freie Assoziation vs. Erklärungen) 

Erfahrungsgestalten

Zudem lassen sich fünf zentrale „Erfahrungsgestalten" im Interview unterscheiden: Episoden (Dramen), Konzeptstrukturen, Geschehens­typen, Verlaufsstrukturen und Theorien (mentale Modelle). Je nach Art der Erfahrung wird das Interview unterschiedlich strukturiert und ge­staltet, um an die gewünschten Informationen zu gelangen (Bortz & Döring, 1995, S. 283f).2

Bestimmung der Interviewform

Die Begründung für eine bestimmte Interviewform ist von verschiede­nen Aspekten abhängig:

  • Welche Personen werden befragt (Interview mit Laien oder Exper­ten? Einzel- oder Gruppeninterviews)?
  • Welches Thema wird behandelt (Dilemma oder biographisches Interview)?
  • Ist eine bestimmte Technik des Fragens (narratives oder assozia­tives Interview) sinnvoll für das Thema?

Je nach Interviewform können bestimmte Aspekte des subjektiven Er­lebens besser erfasst werden. Zum Beispiel lassen sich Verlaufsstruk­turen mit Hilfe der Methode des lauten Denkens, mit der Verhaltens­analyse oder der Lebenslaufanalyse ermitteln (vgl. Bortz & Döring, 1995, S. 288f.).3

Verschiedene Arten von Fragen

Grundsätzlich gibt es offene und geschlossene Fragen, wobei nur die offenen Fragen für ein (qualitatives) Interview relevant sind. Dies sind Fragen, bei denen keine Antwortalternative vorgegeben ist. Der Be­fragte wird nicht in eine bestimmte Richtung gelenkt. Er hat die Mög­lichkeit, eine Antwort zu geben, die seiner Denkweise und Einstellung bzw. Meinung entspricht. Dies setzt jedoch eine gewisse Artikulations­fähigkeit des Befragten voraus (s.o.). Die offene Frage stellt somit höhere Anforderungen als die geschlossene Frage - auch an den In­terviewer: Dieser muss die Antwort „richtig" verstehen, sie protokollie­ren (oder aufzeichnen), muss Wesentliches von Unwesentlichem (z.B. Wiederholungen, schmückende Beiwörter) trennen, also die eigentliche Botschaft herausfiltern. Dies ist nicht in völlig objektiver Weise möglich (Stier, 1999, S. 175).4 Bei sogenannten Satzergänzungsaufgaben sollen Sätze vervollständigt und im Folgenden weitere Aussagen fortgeführt werden (Bortz & Döring, 1995, S. 283).5