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2.2.2.1. Narratives Interview

Allgemeine Informationen

Vorbemerkung

Das narrative Interview könnte auch dem Abschnitt 1 „Interview" zugeordnet werden. Der entscheidende Wirkmechanismus jedoch, dessen man sich beim narrativen Interview bedient, ist eindeutig ein „Erzählerischer" - er manifestiert sich in den weiter unten erklärten Zugzwängen von Erzählsituationen, die in oben genannten Interviewformen keine Rolle spielen. Daher ist das narrative Interview hier den „Erzählungen" zugeordnet.

Beschreibung

„Im narrativen Interview wird der Informant gebeten, die Geschichte eines Gegenstandsbereichs, an der der Interviewte teilgenommen hat, in einer Stegreiferzählung darzustellen" (Hermanns 1995, S. 183)1. Der Interviewer ist bestrebt, die Erzählsituation so zu moderieren, dass der Interviewte eine „zusammenhängende Geschichte" (Hermanns, 1995, S. 183)2 erzählt. Nach der Begrüßung und einer kurzen Orientierung über Ziel und Zeit der Befragung („Anwerbephase" oder „Erklärungs­phase") fordert der Interviewer den Befragten auf, mit seiner Er­zählung zu beginnen. Im Anschluss an die Erzählung erfolgt die Phase des narrativen Nachfragens (Wie-Fragen). Die „Bilanzierungsphase" als letzter Abschnitt des narrativen Interviews, dient dazu, den Informan­ten als „Experten und Theoretiker seiner selbst" (Hermanns, 1995, S. 184)3 die Möglichkeit zu geben, weitere Reflektionen über das Erzählte auszudrücken (Warum-Fragen).

Einsatzfeld

Dieses Erhebungsverfahren eignet sich zur Theoriebildung in der Bio­graphie- und Lebenslaufforschung. In der Regel liefert das Verfahren Typologien von biographischen Verläufen. Nicht zu vernachlässigen ist, dass diese Methoden riesige Transkripte liefern, die zu Auswertungsproblemen führen können. Daher lohnt es sich, sich genau zu fragen, ob man für die Fragestellung wirklich Verlaufsdaten braucht oder ob man nicht mit einem z.B. thematisch gesteuerten Leitfaden-Interview effektiver arbeiten kann.

Ablauf eines narrativen Interviews

Erzählaufforderung

narratives Interview beginnt mit einer thematisch breiten Ein­gangsfrage, die aber so spezifisch formuliert wird, dass darin der für die Untersuchung relevante Lebensabschnitt anvisiert wird. Z.B.: „Nun erzählen Sie bitte einmal, wie die ersten beiden Jahre nach Ihrer Pensionierung waren." Der Interviewstil ist neutral bis weich (Lamnek, 1995, S. 72)4. Eine Vertrauensatmosphäre ist unabdingbar. Die Erzähl­aufforderung der Eingangsfrage könnte auch noch die „explizite Bitte um Erzählung und um deren ausführliche Detaillierung enthalten" (Flick, 2002, S. 148).5 Unpräzise Erzählaufforderungen und ungenügen­de „Anwerbephasen" führen dazu, dass Erzählungen sprunghaft wer­den oder thematisch irrelevant bleiben.

Durchführung

Wichtig ist für den Interviewer, keine die Qualität der Daten beeinflus­sende, direkte oder bewertende Interventionsfragen zu stellen wie z.B.: „Hätte man nicht anders vorgehen können?" oder „Das haben Sie aber gut gemacht, damals!" Der Einsatz von Signalen des Interesses (aktives Zuhören) ist aber zu empfehlen, z.B.: Nicken bei Verstehen, „Hms" etc.

Nachfragen

In der Regel wird das Ende einer Geschichte seitens des Informanten mit abschließenden Worten wie z.B. „Soweit, das war´s" signalisiert. Nun beginnt die Phase des narrativen Nachfragens. Ziel dieser Phase ist es, Unklarheiten oder Widersprüchlichkeiten erklärt zu bekommen. In der „Bilanzierungsphase", die das Interview abschließt, werden dann vermehrt Warum-Fragen gestellt, die auf Erklärungen abzielen.

Vor- & Nachteile

Besonderheiten des Erzählens

Erzählen unterscheidet sich vom Beschreiben qualitativ durch einen systemimmanenten „Zugzwang" (Flick, 2002, S. 150) 6, der zu umfang­reicheren Daten führt. Damit ist gemeint, dass der Erzählende, sobald er sich auf das Erzählen eingelassen hat (also nicht nur beschreibt),

  • das Ganze zu Ende bringen muss (Gestaltschließungszwang), 
  • so strukturiert erzählen muss, dass der Interviewer der Erzäh­lung auch folgen kann (Kondensierungszwang) und letztlich 
  • alles erzählen muss, damit der andere die Geschichte versteht (Detaillierungszwang). 

So werden auch Ereignisse ausgesprochen, die der Informant „be­schreibend" wohl eher verschwiegen hätte (Schütze, 1976, S. 225)7. Hier sind im Einzelfall auch forschungsethische Prüfungen angebracht.

Nachteile

Obschon Erzählen als Alltagskompetenz gilt, so kann man im Grunde nicht davon ausgehen, dass „jeder Befragte zur erzählenden Dar­stellung seiner Lebensgeschichte in der Lage ist" (Fuchs, 1984, S. 249).8 Dazu kommt, dass eine Gesprächssituation, in der der eine im­mer spricht und der andere nur zuhört, eine systematische Gesprächs­rollenverletzung bedeutet. Abhilfe schaffen hier Interviewtrainings, in denen der Interviewer lernt, Interventionsfragen zu unterlassen, gleichzeitig aber Techniken des aktiven Zuhörens anzuwenden, um die Beziehung zum Informanten aufrecht zu erhalten. Des Weiteren ist problematisch, dass Erinnerung ein subjektives Konstrukt ist, der Interviewer sich daher nicht sicher sein kann, dass er die tatsächlichen Ereignisse erzählt bekommt. Daraus ergibt sich ein Validitätsproblem, da der Interviewer u.U. nicht mit Fakten konfrontiert wird, sondern mit Interpretationen des Informanten, die z.B. der Bewältigung des Erleb­ten dienen und über deren Entwicklung er sich selbst nicht bewusst ist.