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2.1.4.1. Die 13 Säulen des qualitativen Denkens

Um diese Postulate zu konkretisieren und für den Forschungsprozess handhabbar zu machen, erweitert Mayring (2002)1 die fünf Postulate der Theorieebene zu 13 Säulen qualitativer Forschung. Diese lauten wie folgt:

(1) Einzelfallbezogenheit

Ergebnisse und Verfahrensweisen können sich von einzelnen Fällen wegbewegen, sie müssen aber immer wieder auf Einzelfälle bezogen werden. Dies sollte auch bei größeren Stichproben geschehen; an ihnen wird immer wieder die Adäquatheit der Verfahrensweisen und die Ergebnisinterpretation überprüft. Einzelfallanalysen können eigene Fragestellungen verfolgen. Es können anhand einzelner Fälle Theorien widerlegt, Alternativerklärungen verglichen und Interaktions- und Kontextannahmen überprüft werden.

(2) Offenheit

Falls der Gegenstand der Forschung eine Neufassung, Ergänzung oder gar Revision erfordert (bezogen auf theoretische Strukturierung, Fragestellungen oder Methoden), so muss dies möglich sein. Der For­schungsprozess sollte also dem Gegenstand gegenüber so offen ge­halten werden, dass notwendige Änderungen problemlos möglich sind.

(3) Methodenkontrolle

Um das Ergebnis nachvollziehbar zu machen, muss man den Weg, der zum Ergebnis geführt hat, offen legen. Das Vorgehen muss zum einen expliziert werden und zum anderen begründeten Regeln folgen. Dabei gilt: Je offener das Verfahren, desto genauer muss jeder einzelne Schritt des Vorgehens im Forschungsprozess beschrieben werden. Offene Verfahren werden abgesichert, indem sie nach einer syste­matischen Prozedur ablaufen.

(4) Vorverständnis

Humanwissenschaftliche Gegenstände müssen immer interpretiert werden, wobei diese Interpretationen nie voraussetzungslos möglich sind. Das Vorverständnis des Forschers beeinflusst die Analyse. Um den Einfluss des Vorverständnisses auf den Forschungsprozess über­prüfbar zu machen, ist die Offenlegung des Vorverständnisses notwendig; erst danach kann es sich am Forschungsgegenstand selbst weiterentwickeln und überprüfbar sein. Dieses Vorgehen ist als „hermeneutischer Zirkel" oder „hermeneutische Spirale" bekannt.

(5) Introspektion

Introspektion bedeutet die Analyse des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns. Die Anerkennung introspektiver Daten ist ein möglicher Zugang zu bestimmten Phänomenen, wird aber bezüglich seiner Gültigkeit für die Forschung als wissenschaftliche Methode kontrovers diskutiert. In der qualitativen Sozialforschung ist die Introspektion unerlässlich, da sonst die Explikation des Vorverständnisses und die Interpretation eines Gegenstandes nicht möglich wären. Bei der Analyse werden auch introspektive Daten als Informationsquelle zugelassen. Sie müssen jedoch als solche ausgewiesen, begründet und überprüft werden.

(6) Forscher-Gegenstands-Interaktion

Forscher und Forschungsgegenstand verändern sich durch den For­schungsprozess, der als Interaktion zu begreifen ist. In der So­zialforschung handelt es sich um auf Forschung reagierende, sich verändernde Subjekte. Daten gewinnt man nur durch Kommunika­tionsprozesse, die immer auch subjektive Deutungen sind und in Dia­logform ablaufen.

(7) Ganzheit

Eine analytische Trennung in menschliche Funktions- bzw. Lebens­bereiche kann während eines Forschungsprozesses sinnvoll sein, sie muss aber immer wieder zusammengeführt und in einer ganzheit­lichen Betrachtung interpretiert und korrigiert werden. Die einzelnen menschlichen Funktionsbereiche (Denken, Fühlen, Handeln) und Le­bensbereiche (Gesellschaft, Beruf, Familie, Freundeskreis) sind nur als analytische Differenzierungen zu betrachten, die stets auf das Ganze zurückbezogen werden müssen.

(8) Historizität

Humanwissenschaftliche Gegenstände haben eine Geschichte und können sich verändern. Um einem Gegenstand gerecht zu werden, muss dieser nach dem qualitativen Denkmuster immer auch historisch betrachtet werden. Verallgemeinerungen, die historische Kontexte ganz oder teilweise ausblenden, müssen sorgfältig überprüft werden, um keine Fehldeutungen zu leisten.

(9) Problemorientierung

Humanwissenschaftliche Untersuchungen sollen direkt an praktischen Problemstellungen des Forschungsbereichs ansetzen und schließlich deren Ergebnisse auch wieder auf diese Praxis beziehen.

(10) Argumentative Verallgemeinerung

Bei der Verallgemeinerung der Ergebnisse humanwissenschaftlicher Forschung muss expliziert und begründet werden, welche Ergebnisse auf welche Situationen, Bereiche und Zeiten generalisiert werden können.

(11) Induktion

Im qualitativen Denken wird induktives Vorgehen explizit eingesetzt, um zu Ergebnissen zu gelangen. Die Ergebnisse sind aufgrund der Offenlegung des Forschungsprozesses überprüfbar und kontrollierbar. In sozialwissenschaftlichen Untersuchungen spielen induktive Verfah­ren zur Stützung und Verallgemeinerung der Ergebnisse eine zentrale Rolle.

(12) Regelbegriff

Anders als die Naturgesetze in den Naturwissenschaften wird das menschliche Denken, Fühlen und Handeln vom Menschen selbst hervorgerufen. Dabei sind unterschiedliche oder gegensätzliche Be­wertungen von Empfindungen durchaus möglich und wahrscheinlich, auch wenn sich dabei gewisse Regelmäßigkeiten erkennen lassen. Im humanwissenschaftlichen Gegenstandsbereich werden daher Gleich­förmigkeiten nicht mit allgemeingültigen Gesetzen, sondern besser mit kontextgebundenen Regeln abgebildet.

(13) Quantifizierbarkeit

Qualitativ orientierte Untersuchungen können die Voraussetzung darstellen für sinnvolle Quantifizierungen der Ergebnisse. Mit der Quantifizierung kann ein Schritt zur Absicherung und Verallgemeiner­barkeit der Ergebnisse geschaffen werden.