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2.3.5.3. Objektive Hermeneutik

"Das Verfahren der objektiven Hermeneutik wurde von U. Oevermann und Mitarbeitern ursprünglich im Rahmen familientherapeutischer und sozialisationssoziologischer Untersuchungen entwickelt" (Oevermann et al. 1979, zitiert nach Lamnek, 1989, S.213)1 und ist vom theoretischen Hintergrund her strukturalistischen Modellen zuzuordnen (vgl. Flick, 1996)2.

Ziel und Besonderheiten

Weiter ist die objektive Hermeneutik ein textanalytisches Verfahren, dessen Ziel es ist, hinter den einzelnen subjektiven Bedeutungsstruk­turen einer Äußerung oder Handlung, die objektiven Bedeutungen, man spricht auch von latenten Sinnstrukturen, festzustellen (vgl. Flick, 2002)3. Ein zentraler Aspekt dieses Analyseverfahrens ist der Einbau von sogenannten Gedankenexperimenten. Der Forscher widmet sich hierzu einer Textstelle (in der eine Handlung aus Sicht des Subjekts beschrie­ben wird) und entwickelt dazu alle denkbaren Bedeutungen der Hand­lung unabhängig vom konkreten Fall. Anschließend wird der konkrete Fall miteinbezogen, um die zutreffende Bedeutung festzustellen. Durch einen späteren Vergleich unterschiedlicher Fälle wird versucht, Schluss­folgerungen allgemeiner Struktureigenschaften von Handlungen zu ge­nerieren (vgl. Mayring, 2002)4.

Einsatzfeld

Das ursprüngliche Anwendungsgebiet der objektiven Hermeneutik war vor allem die Auswertung transkribierter Interviews im Rahmen familien­soziologischer Studien. Im Laufe der Zeit wurde die objektive Hermeneutik auf die Analyse anderer Dokumente aus den Bereichen Kunstwerk und Foto ausgedehnt (vgl. Flick, 2002)5. Dazu gehören u.a. Landschaften, Filme, Bilder und Gemälde, die in Form von Protokollen transkribiert wurden. Aufgrund des aufwändigen Vorgehens (für die Analyse einer Seite ist eine Gruppe von fünf Personen ca. 30 Stunden beschäftigt, um eine 50-seitige Inter­pretation zu schreiben) wird das Verfahren nur für kleinere Material­ausschnitte oder mit erheblichem Ressourceneinsatz verwendet (vgl. Mayring, 2002)6.

Vorgehensweise

In einem ersten Schritt wird eine zentrale Fragestellung festgelegt.  Hier geht es z.B. um die Persönlichkeitsstruktur des Interviewten, die Interaktionsstruktur mit dem Interviewer oder um die Struktur einer Organisation. Die anschließend folgende Grobanalyse befasst sich mit dem Handlungsproblem der Situation und dessen Rahmenbedingungen der Materialgewinnung (handelt es sich z.B. um ein Interview, eine Gruppendiskussion oder eine Therapeut-Patient-Interaktion). Das Kern­stück der Analyse bildet nun die sequentielle Feinanalyse. Hier wird das Material in einzelne Teilstücke zerlegt, dessen Handlungen nacheinander analysiert werden. In diesem Schritt werden mögliche (s.o. Gedanken­experiment) und tatsächliche Bedeutungsgehalte des Materials schritt­weise systematisch verglichen. In der abschließenden Strukturgenera­lisierung werden nun Fälle mit zu Beginn identisch festgelegter Frage­stellung miteinander verglichen und durch Heranziehen weiteren Mate­rials bestätigt (vgl. Mayring, 2002)7. Im Folgenden das Ablaufmodell der objektiven Hermeneutik nach Mayring (2002, S.125)8: